Piraten unterstützen das Anliegen des Soroptimist Club Witten-Herdecke, Frauen und Mädchen auf öffentlichen Toiletten kostenlos Hygieneartikel zur Verfügung zu stellen
Der Soroptimist Club Witten-Herdecke wendet sich im Juni mit der Anregung an den Wittener Haupt- und Finanzausschuss, in öffentlichen Toiletten Binden und Tampons kostenlos zur Verfügung zu stellen. Frauen sollen auf öffentlichen Toiletten ebenso selbstverständlich Hygieneartikel kostenlos vorfinden, wie Toilettenpapier. Die entsprechenden Automaten sollen in Schulen und städtischen Einrichtungen installiert werden.
„Mit unserem Antrag verstärken wir unser bisheriges Engagement gegen Periodenarmut und für die Enttabuisierung des Themas in der Öffentlichkeit. Wir sind optimistisch, dass die Kommunalpolitiker*innen der Ratsfraktionen unseren Antrag unterstützen und umsetzen werden. So werden in Kürze auch in Witten Mädchen und Frauen kostenlose Hygieneartikel auf öffentlichen Toiletten in städtischen Einrichtungen und Schulen vorfinden.“
Katrin Mühling, Vizepräsidentin des Soroptimist Club Witten-Herdecke
Die Piratenfraktion Witten unterstützt den Soroptimist Club Witten-Herdecke bei diesem wichtigen Anliegen. Soroptimistinnen als Club berufstätiger Frauen mit gesellschaftspolitischem Engagement vertreten die Position der Frauen in der öffentlichen Diskussion. Der Soroptimist Club Witten-Herdecke engagiert sich bereits seit einiger Zeit gegen die sog. Periodenarmut und unterstützt bereits Einrichtungen wie die Wittener Tafel oder das Haus im Park mit Hygieneartikeln.
Enttabuisierung, Gleichberechtigung, Aufklärung
„Es geht hier nicht um ein Nischenthema. Hygieneartikel zu benötigen, kaufen zu müssen (für nicht wenig Geld), auf entsprechende Ausstattung von öffentlichen Toiletten angewiesen zu sein, das ist monatlicher Alltag für die Hälfte der Bevölkerung. Es geht hier außerdem um Aufklärung, um Enttabuisierung, um ganz konkrete, tatsächliche Gleichberechtigung.”
Elaine Bach, Ratsmitglied der Piratenfraktion
Auch wenn das Niveau der Periodenarmut in Deutschland nicht zu vergleichen ist mit den Problemen in Schwellen- und Entwicklungsländern, gibt es auch bei uns das Problem, dass Menschen keinen ausreichenden Zugang zu Periodenprodukten haben. Schülerinnen und Erwachsene mit niedrigem oder gar keinem Einkommen sind ökonomisch betroffen, hinzu kommt die gesellschaftliche Tabuisierung des Themas. Wo man nicht offen mit Menstruation umgeht und Unwissen oder Scham im Weg stehen, bekommt Frauengesundheit nicht die Aufmerksamkeit, die sie braucht. Oder schlimmer noch: Sie wird so vernachlässigt, dass es gesundheitsgefährdend ist, z.B. wenn die erforderliche Hygiene, wie eine ausreichende Tamponausstattung, nicht möglich ist.

Deutschland senkte 2020 die Mehrwertsteuer auf Menstruationsartikel von 19 auf sieben Prozent. Kanada, Irland, Australien und Kenia befreiten diese Produkte ganz von der Mehrwertsteuer.
Periodenarmut ist real
Verschiedene Berechnungen sehen die lebenslangen Kosten für die Menstruation für eine Person bei mehreren tausend Euro. Wie hoch auch immer die Kosten tatsächlich sind, es gibt Menschen, die sich auch in Witten entscheiden müssen, ob sie sich für ein paar Euro eine Packung Tampons kaufen oder das Geld anderweitig benötigen. Ihnen würde das Angebot von Hygieneartikel-Automaten ebenfalls helfen. Ein weiterer Ansatz, Armut und somit auch die Periodenarmut entscheidend zu bekämpfen, wäre die Einführung eines Bedinungslosen Grundeinkommens, für das sich die Piratenpartei seit Jahren engagiert. Mit ihm würden alle Grundbedürfnisse gedeckt und ein Leben in Würde, unabhängig des sozialen Status, ermöglicht.
„Wir unterstützen das Anliegen der Soroptimistinnen Witten-Herdecke auch, weil es ein gutes Zeichen für mehr Geschlechtergerechtigkeit ist. Die Anregung des Soroptimist Club freut uns zudem, weil sie ein schönes Beispiel für gelebte Demokratie ist. Es ist in der Bevölkerung noch viel zu unbekannt, dass jede*r das Recht hat, sich mit Anregungen und Beschwerden direkt an den Stadtrat zu wenden!“
Stefan Borggraefe, Vorsitzender der Piratenfraktion
Schottland und Neuseeland gehen voran
International sind Schottland und Neuseeland Vorreiter bei der Bekämpfung der Periodenarmut. Neuseeland wird im Juni landesweit in den Schulen Menstruationsprodukte zur Verfügung stellen. Dort hat sich sogar die Premierministerin Jacinda Ardern persönlich hinter das Thema geklemmt. Eine von zwölf Jugendlichen verpasse in Neusseland laut Ardern regelmäßig Unterricht, weil das Geld für Menstruationsprodukte fehle. In Deutschland war es die Hochschule Merseburg, die als erstes kostenlose Menstruationsprodukte in ihren Toiletten zur Verfügung stellte, die Stadt Hamm startet nun ebenfalls ein entsprechendes Projekt.
Ratsmitglied Elaine Bach im Gespräch mit Claire Duhamel vom Periodensystem e.V.
Elaine hat Claire vom Verein Periodensystem zum Gespräch getroffen: Der ehrenamtliche Verein engagiert sich für die Themen Menstruation und Periodenarmut, indem sie aufklären, Bewusstsein und Aufmerksamkeit dafür schaffen. Wir finden die Arbeit des Vereins toll und denken, dass dieser ganzheitliche Ansatz auch sehr gut zum Antrag, der hier in Witten behandelt werden soll, passt. Denn auch wir wollen uns für Aufklärung und Enttabuisierung einsetzen. Darum haben wir uns gefreut, eine der Expertinnen zu dem Thema interviewen zu können.
Elaine wollte zunächst wissen, wie man Periodenarmut am besten erklären kann. Claire findet, viele seien da schon bewusster mittlerweile, es gäbe auch einige gute Seiten und Communities dazu, z.B. auf Instagram.
Als Forscherin zu dem Thema, da sie selbst ihre Masterarbeit hierzu geschrieben hat, weiß sie aber auch, dass es immer stark vom Kontext abhängt, wo man ansetzt. Man müsse auf jeden Fall klarstellen, dass es auch in Europa ein Thema ist: Nicht alle haben Zugang zu Hygieneartikeln, z.B. sind obdachlose Menschen verstärkt davon betroffen. Es sei eigentlich ein sehr komplexes Thema, das auch in anderen Bereichen eine Rolle spiele (wie z.B. bei Städteplanung). Was helfen könne, um die Problematik deutlich zu machen: Zum Beispiel erst einmal ein Bewusstsein für die Kosten schaffen, mit harten Zahlen und Fakten arbeiten, um Menschen, denen das Thema fremd ist, die Relevanz aufzuzeigen. Daraufhin wollte Elaine gern wissen, was denn die konkreten Methoden des Vereins zur Aufklärung sind. Dazu vorab: Periodensystem e.V. wurde 2016 gegründet. Konkret haben Sie bei ihrer Arbeit erst einmal Bedarfe gecheckt, also herausgefunden, was genau wo an konkreten Mitteln fehlte. Dann wurde unter anderem Geld gesammelt um z.B. Obdachlosen- oder Geflüchteten-Unterkünfte dauerhaft mit Hygieneartikeln unterstützen zu können.
Zur Arbeit des Vereins gehört aber natürlich auch das Netzwerken und auf Social Media aktiv zu sein. Es seien auch Aktionen und Ausstellungen geplant, um durch Öffentlichkeitsarbeit auf das Thema aufmerksam zu machen und aufzuklären. Vor der Pandemie gab es Netzwerk-Treffen um gemeinsam Aktionen zu planen, derzeit auch online. Auch hierbei gelte es, ganzheitlich zu denken, was Claire nochmal betont: Man muss klar machen, dass es um mehr geht, dass es auch generell um Frauengesundheit geht und um Gleichberechtigung.
Zuletzt hat Elaine sich und dann auch Claire gefragt – geht es hier wirklich immer noch um ein Tabuthema? In der eigenen, mitunter feministischen Bubble ist es mittlerweile eine Selbstverständlichkeit offen über Menstruation zu sprechen und auch Probleme in dem Kontext zu sehen. In anderen Kontexten kann man aber nach wie vor auf Unwissenheit und Abwehr stoßen. Claire kennt das auch und denkt, dass bei der Kommunikation hierzu Zahlen sehr wichtig sind, z.B. um zu zeigen, wie viele davon betroffen sind. Zudem müsse das Thema als „öffentliches Gesundheitsproblem“ begriffen werden, und auch als Thema von Gleichberechtigung. Am Ende geht es um nicht weniger, als darum, wie gerecht eine Stadt gestaltet wird.